Das Melodramma in einem Akt von Pietro Mascagni und das Drama in zwei Akten mit einem Prolog von Ruggero Leoncavallo sorgen mit ihrer emotionalisierenden Musik nicht nur für Hörerlebnisse auf der Bühne, sondern haben auch berühmte Filmschaffende in Hollywood inspiriert – mit näheren Ausführungen dazu, Erklärung historischer Zusammenhänge und Erläuterungen zu veristischen Stilelementen wurden die zahlreich erschienenen Besucher beim SF am 5. 11.2023 durch die Musikdramaturgin Anne Maria Jurisch vorbereitet auf ein „überwältigendes“ Operndoppel-Erlebnis. Das Linzer Theaterpublikum des ausgehenden 19. Jahrhunderts durfte schon kurz nach den italienischen Uraufführungen der Kurzopern diese hochdramatischen Werke am Linzer Landestheater (1892 und 1893) kennenlernen, wie dies Präsident Rieder in seiner Begrüßung anmerkte. Nun, nach 20 Jahren, können Opernbegeisterte, diesmal im neuen Musiktheater, wieder mitfiebern mit eifersüchtigen, gekränkten und rächenden ProtagonIstinnen.
Mit welch anrührenden, schwer zu singenden Melodienbögen die Komponisten die Texte der Libretti (Texte für Pagliacci von Leoncavallo) ausgestattet haben, davon konnten sich die Besucher bei zwei Gesangsproben überzeugen. Zunächst begleitete Kapellmeister Claudio Novati am Klavier Ilona Revolskaya als Nedda (Colombina) und Alexander York als Bauer Silvio, die sich im Duett für eine Flucht verabreden, aber von Tonio (Taddeo) ertappt werden bei „baci“ und Liebesschwur „t’amo, t’amo“. Ein wunderbarer Vorgeschmack auf die Opernabende!
Beginnend mit Rückschau auf realistische und naturalistische Literatur im 19. Jh. kam Jurisch zu sprechen auf die veristischen Opern-Sujets bei Mascagni und Leoncavallo: nicht mehr das Theatralische aus einer anderen Welt, sondern bürgerliche Existenzen, bei Mascagni sizilianische Dorfbewohner, bei Leoncavallo fahrendes Volk, würden die Bühne beherrschen. Keine Botschaften würden verkündet, keine lange Geschichte werde aufgerollt. Ein Geschehen beginne plötzlich, das Publikum erfahre „Überwältigung“.
Die durch Jurisch skizzierten Lebensläufe der Verismo-Komponisten ließen die Besucher tiefer in deren Arbeitsbedingungen blicken. Mascagni, der ältere, war in einer Bäcker-Familie aufgewachsen, musste nach seinem Studium sein Leben als Musiker mit Gang durch die Provinzen finanzieren und hatte schließlich das Glück, bei einem Operneinakter-Wettbewerb 1889, organisiert vom Mailänder Sonzogno Verlag, den ersten Preis zu erringen. Der Vorgeschichte der Einreichung der Cavalleria-Partitur durch Mascagni bei „seinem“ Musikverlag stellte Jurisch Leoncavallos Laufbahn gegenüber. Dieser war in eine gebildete Familie hineingeboren, konnte schon mit Erfolgen als Musiker aufwarten, „sein“ Musikverlag Ricordi war der renommiertere.
Beim Gesprächsteil nach der Einführung kam zwischen dem musikalischen Leiter der Opernproduktion Enrico Calesso, den Gästen vertraut durch viele Dirigate am Musiktheater, und Jurisch das „Rätsel“ zur Sprache, warum zwei so unterschiedliche Werke wie Cavalleria und Pagliacci immer wieder im Doppelpack aufgeführt würden. Calesso demonstrierte gestisch beeindruckend („wumm!“), wie unvermittelt bei beiden Komponisten die Tonsprache auf die Hörer träfe. Neu sei auch die symphonische Durchdringung der Partitur, er erinnere an das berühmte Zwischenspiel in Cavalleria! Mit dem Begriff „Gleichzeitigkeit“ überraschte die Regisseurin Alexandra Liedtke, vordergründig Ungesagtes laufe im Hintergrund ab. Sie war etwas später als Dritte aufs Podium gekommen, weil sie „gleichzeitig“ intensiv mit Probenarbeit auf der Bühne beschäftigt gewesen war.
Musikalischer Schlusspunkt des SonntagsFoyers: Jonathan Hartzendorf sang als Arlecchino die Serenata aus Pagliacci und ließ dadurch das Abgründige der Oper als „Komödie“ tenoral zu Ende gehen.  

Heide Stockinger
Fotograf: Fleckenstein

Fotos 97. SF