Zum 10. Geburtstag des Linzer Musiktheaters steht eine Neuproduktion von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ am Programm, die am 19.3.2023 beim SonntagsFoyer vorgestellt wurde. Betrachtet man die Musikgeschichte, erkennt man, dass Fortschritt immer mit einem Regelbruch verbunden war und fast jeder Komponist mit den Traditionen seiner Gegenwart zu kämpfen hatte. Die Meistersinger von Nürnberg sind ein Werk, das den Regelbruch selbst zum Gegenstand hat.

Doch was ist Kunst? – Musiktheaterdramaturgin Katharina John führte dazu einige wesentliche Aspekte an. Fragt man nach dem Unterschied zum Gewerbe kommt der kreativen Komponente eine wesentliche Bedeutung zu. Im Gegensatz zum Handwerk nach bestehenden Regeln, steht bei der Kunst die Autonomie im Vordergrund: das Kunstwerk schafft sich seine Gesetze selbst, was in autoritären Regimen zu nicht zu unterschätzenden Problemen führen kann.

Wagner war seiner Zeit voraus, ein Vertreter der Avantgarde im Sinne von künstlerischer Innovation. Nach dem Scheitern der politischen Revolution hatte die Bevölkerung ein besonderes Bedürfnis nach Spiritualität. Mithilfe der Kunst sollte es gelingen, die Bevölkerung aus ihrer Desintegration zu lösen. Dabei ging es auch darum, die Kunst wieder in die Lebenspraxis zurückzuführen, wobei der Kunst eine identitätsstiftende Wirkung innerhalb der Gesellschaft zukommen sollte.

Im ersten Musikbeispiel erklärte der Lehrjunge David (Matthäus Schmidlechner) dem Ritter Walther von Stolzing (Heiko Börner), was ihn bei der nicht gerade einfachen Prüfung erwarte: „Mein Herr! Der Singer Meisterschlag gewinnt sich nicht an einem Tag“ und erklärte die Regeln von Bar und Abgesang. Doch obwohl sichtlich etwas verwirrt „Hilf Himmel. Welch endlos Tönegeleis“ setzte David fort: „Das sind nur die Namen; nun lernt sie singen…“.

Danach erläuterte der musikalische Leiter Chefdirigent Markus Poschner, wie Wagner ein heiteres Gegenstück zu seinem Tannhäuser schaffen wollte. In strahlender C-Dur lässt uns Wagner am Aufstellen und Brechen von Regeln teilhaben. Erst nach und nach kommt man sukzessive über die Tellerrand-Harmonie hinaus. Motor des Werkes ist das Aufeinanderprallen lassen im Sinne einer durchkomponierten Polyphonie. Die Prügelszene im zweiten Aufzug ist ein geradezu anarchisches Stück mit schnellem Grundtempo und anspruchsvollen Koloraturen. Die absurd komische Figur ist zweifellos Beckmesser mit seiner „Überanwendung“ von Regeln, was zu Sturheit und Dogma führen kann. Um dies zu vermeiden, ist geradezu deren Umkehrung und Spiegelung erforderlich. Typisch für Beckmesser ist die sog. „Beckmesserharfe“, die mit ihren Metallsaiten einen schnarrenden und unangenehmen Ton erzeugt. Hans Sachs ist ein facettenreicher Mann, er steht für Fortschritt, macht aber zuletzt einen Rückzieher, sodass sich die Frage stellt, ob nicht Fortschritt und Tradition einander bedingen und sich gegenseitig ergänzen sollen.

Als 2. Musikbeispiel hörten wir den „Fliedermonolog“ von Hans Sachs (Michael Wagner, der sich auf sein Rollendebüt beinahe 2 Jahre vorbereitet hat), der nach Walters Misserfolg sinniert „Was duftet doch der Flieder so mild, so stark und voll… Kein´ Regel wollt da passen und war doch kein Fehler drin… Dem Vogel, der heut sang, dem war der Schnabel hold gewachsen. Macht er den Meistern bang, gar wohl gefiel er doch Hans Sachsen.“ Danach nahm auch das Regieteam Paul-Georg Dittrich, Sebastian Hannak und Robi Voigt auf der Bühne Platz. Die Linzer Inszenierung erzählt die Geschichte aus der Sicht Eva Pogners. Ihr Vater verspricht sie dem Gewinner des Wettsingens sozusagen als Trophäe, ohne sie zu fragen, was sie tatsächlich will. Anhand von Modellfotos und Probenimpressionen bekamen wir Einblick in die geplanten Aufführungen, beginnend mit Evas Zimmer mit großbürgerlichem Parkett, übergroßen Türen und einem Teddybär bis hin zu Spielautomaten und Flippern, die verschiedene Welten darstellen.

Beim musikalischen Abschluss erinnerte sich Hans Sachs (Michael Wagner) mit zarter Stimme: „Mein Freund! In holder Jugendzeit…“ und erklärte diesmal selbst Walter von Stolzing (Heiko Börner) – am Klavier wie auch zuvor von Benedikt Ofner begleitet – die Regeln von Stollen und mehr. Wie es Walter von Stolzing letztlich wirklich ergeht, erfuhren wir beim SF noch nicht ganz, sondern wurden auf die Aufführungen vertröstet. Wir wissen es natürlich schon, sind aber gespannt auf die Umsetzung.

Irene Jodl
Fotograf: Fleckenstein

Rezension von Petra und Helmut Huber zu DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – Premiere am Musiktheater des Landestheaters, Großer Saal, 8.03.2023