Zur europäischen Erstaufführung von Dave Malloys Musical „Natascha, Pierre und der große Komet von 1812“ veranstalteten die Freunde des Linzer Musiktheaters in Kooperation mit dem Landestheater am 29.1.2023 ein spannungsgeladenes, informatives, aber auch unterhaltsames SF mit vielen musikalischen Neuheiten und Überraschungen.

Die junge, etwas naive Natascha kommt nach Moskau, um dort die Rückkehr ihres Verlobten Andrej, der im Krieg dient, abzuwarten. Doch Natascha verfällt dem skrupellosen Verführer Anatol und löst ihre Verlobung mit Andrej. Nun soll Pierre, ein Freund der Familie, die Angelegenheit retten. Doch Pierre ist selbst in Natascha verliebt, er geht hinaus auf die Straße, erblickt dort den großen Kometen von 1812 mit seinem langen Schweif und entdeckt – beeindruckt von dieser Erscheinung – seine Liebe zu Natascha.

Produktionsleiter Arne Beeker (Dramaturgie) schilderte anhand eines Stammbaumes die verzweigte Handlung des Musicals, das auf einer ca.100 Seiten langen Episode aus Tolstois Monumentalwerk „Krieg und Frieden“ beruht. Wahrscheinlich habe nicht nur ich ein wenig den Überblick verloren, doch Arne Beeker beruhigte: dem Stück ist ein „Prolog“ vorangestellt. Und so lernten wir schon zu Beginn – dargebracht von den SolistInnen und den Roving Musicians – die im Stück auftretenden Personen samt ihren Charaktereigenschaften kennen. Mit stürmischem Applaus bedankten sich die Besucher bei Hanna Kastner (Natascha), Christian Fröhlich (Pierre), Judith Jandl (Sonja), Alexander Frenkel und Verena Nothegger (Violine), Luciana Zadak (Viola), David Decker (Klarinette), Maurice-Daniel Ernst und Alexander Bambach (Gitarre) und Manuela Kloibmüller (Akkordeon), am Klavier begleitet von Tom Bitterlich. Danach beeindruckten uns noch die Musiknummern „Sonja und Natascha“, „Niemand sonst“ und „Staub und Asche“.

Musicalchef Matthias Davids, der für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, schilderte die Erfolgsgeschichte des als „Elektropop-Oper“ bezeichneten Stückes, das 2012 ganz klein in einem Saal mit etwa 80 Personen und einer Bar begonnen hat, dann in ein Zelt, in dem auch Essen serviert wurde, übersiedelte und es letztlich auf den Broadway geschafft und auch dort als „immersives“ Spektakel, bei dem das Publikum mitten drin und Teil des Geschehens ist, einen Riesenerfolg gefeiert hat. Dave Malloy, von dem sowohl die Musik als auch der Text stammt, hat von Tolstoi sowohl Originaldialoge als auch „innere Monologe“ übernommen mit Sätzen, die die Handlung vorantreiben, aber auch die Gefühle der auftretenden Personen zum Ausdruck bringen, was eine andere Spielform erfordert. Hervorgehoben dabei sei auch die Einbindung von TANZ LINZ an dieser Produktion. 

Der musikalische Leiter Tom Bitterlich erläuterte das Besondere an der Musik, die es wie kaum ein anderes Werk schafft, die ambivalenten Figuren zu charakterisieren und führte dazu einige Beispiele vor. Das Werk ist wie eine durchkomponierte Oper mit Arien und Rezitativen, die mittels elektronischer Musik verstärkt werden. Es gibt nur eine einzige gesprochene Stelle. Die Dualität zwischen 2er und 3er Metrik charakterisiert die Aufgeregtheit der Figuren und deren ständiges Treiben, aber auch das harmonische Fortschreiten. Das besondere, ja gerade einzigartige sind die „Roving Musicians“ (singende und spielende MusikerInnen), also KünstlerInnen, die nicht nur singen, sondern gleichzeitig auch ein Instrument spielen und die Choreographie beherrschen, was ein besonderes Casting erforderlich machte.

Andrew D. Edwards zeigte die Entstehung des Bühnenbildes, das mit den Farben rot und schwarz und den Teppichen das Russische an dem Werk betonen soll. Die neben der Bühne ausgestellten Kostüme und das Modell der Inszenierung waren auch lange nach dem offiziellen Ende des SF noch von den zahlreichen gespannten, begeisterten und emotionalisierten Besuchern umringt. Für diese umfassende „Einführung“ sagen wir ein herzliches danke!

Irene Jodl
Fotograf: Fleckenstein