Freunde des Linzer Musiktheaters, 40 an der Zahl, erlebten am 21.1.2024 einen stilecht auf die Bühne gebrachten Lehár, ein „Singspiel“, das der Meister als sein „liebstes Werk“ bezeichnete. Nach einer kurzweiligen Busfahrt nach Baden erreichte die Reisegesellschaft zur Mittagszeit das Restaurant El Greco. Gestärkt konnten die Reiseteilnehmer die kurze Strecke zum Stadttheater in wenigen Minuten zurücklegen; um 15 Uhr hob sich im Theater der Vorhang, das (Sing)Spiel konnte beginnen.   

Friederike? VonLehár? Noch nie gehört! Der künstlerische Leiter der Bühne Baden Michael Lakner nahm genau aus diesem Grund Lehárs 1928 in Berlin uraufgeführtes Stück ins aktuelle Programm. Wie bei der 1926 in Berlin erstaufgeführten Operette Paganini und der 1927 in Berlin uraufgeführten Operette Zarewitsch hebt sich auch das Singspiel Friederike ab von früherer Lehár’scher Produktion durch eskapistisches Ausweichen in Stoffe mit Protagonisten im historischen Gewand und Verweigerung eines Happy Ends.

Der erste Akt des Singspiels folgt in etwa Schilderungen von Johann Wolfgang von Goethe in seinem Werk „Dichtung und Wahrheit“: Er hat sich 21-jährig, als er Jus-Student in Straßburg war, in die 18-jährige Pfarrerstochter Friederike verliebt, die er 1770 beim Wandern mit seinen Kommilitonen Lenz und Weyland im kleinen Ort Sesenheim kennenlernte. Im Singspiel lässt Goethe sich in Sesenheim beim Komponieren der ersten beiden Strophen des „Heidenrösleins“ von Friederike über die Finger blicken, gibt Gesangsproben ab. Im zweiten Akt des Singspiels, untypisch für Goethes Gewohnheit des Sich-nicht-binden-Wollens, steckt er Friederike bei einer Straßburger Tanzveranstaltung einen Verlobungsring an den Finger und singt „O Mädchen mein, Mädchen, wie lieb ich dich“. Abweichend von der historischen Wahrheit kommt der Ruf nach Weimar schon im Jahr 1771. Weyland überredet Friederike, ihren Wolfgang „freizugeben“, um seine Dichterlaufbahn nicht zu gefährden. Das tut sie auch, edel wie sie ist, mit Hilfe eines weiblichen Tricks. Sie ist eine Verzichtende, „Warum hast du mich wachgeküßt, hab nicht gewußt, was Liebe ist, […] ich war kein Weib, ich war ein Kind“ singt sie tränendrüsendrückend.

Dass der Dichter seines „Mädchens“ nach wenigen Monaten überdrüssig war und sie sitzen ließ, also sie verlassen hat, passte nicht ins Konzept der Librettisten Fritz Löhner-Beda und Ludwig Herzer. Aber, abgesehen von dem dramaturgischen Kunstgriff, Goethe schon 1771 nach Weimar ziehen zu lassen, ist die germanistische Herangehensweise der Librettisten beachtlich. Sie zogen Quellen wie Goethes Autobiographie und Briefliteratur fürs Textbuch heran und adaptierten für die Gesangstexte Goethe-Gedichte. Wo gibt es in Operetten noch eine derartige Nähe zu historischer Wahrheit?

Die Berliner Presse reagierte mit Hohn und Spott auf die Uraufführung von Friederike mit einem Operetten-Goethe. Anders das Publikumsecho im gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus! Die bejubelte Aufführung ging hunderte Male über die Bühnenbretter. Und dies auch noch ohne die berühmten Protagonisten der Uraufführung Käthe Dorsch (als Friederike) und Richard Tauber(als Goethe), bis hin zum Verbot der Aufführung des „deutschesten“ Werks von Lehár durch Joseph Goebbels, wegen der jüdischen Wurzeln Taubers und der Librettisten.

Dass nach dem Zweiten Weltkrieg Friederike nur mehr selten auf den Spielplan kam, in Linz noch in den Spielzeiten 1948/49 und 1951/52 am Landestheater und im April 2018 in der Reihe „Oper am Klavier“ im Musiktheater, liegt trotz Lehárs bezaubernder Musik vor allem an der „eins zu eins“- Unaufführbarkeit des Werks. Maßnahmen, wie „sanfte Ironie trifft auf großes Gefühl“ zu setzen, gelang im Stadttheater Baden, und damit sei auf die Vorzüge der Regiearbeit des vielfach ausgezeichneten Regisseurs Peter Lund hingewiesen.

Ein Schachzug des Regisseurs ist es, aus Goethes Eingangssequenz zu Faust, nämlich dem „Vorspiel auf dem Theater“, ein paar fürs Stück wesentliche Aspekte in dazu gedichtete Knittelverse zu verpacken. Ein Theaterdirektor (in mehreren Rollen, beklatscht vom Publikum: Herbert Steinböck), den Erfolg und das Verdienst vor Augen, hat andere Absichten als der Dichter. Ja, Goethe (Jens Walter) tritt auch schon auf, als alt gewordenes alter Ego des Goethe-Jünglings, der im weiteren Verlauf des Singspiels „Dinge zurechtrückt“, beziehungsweise sich auch freut über gelungene Details seiner Vita. Die Lustige Person in Gestalt des Spielmachers ist der köstlich agierende Oliver Baier. Seine Kommentare entschärfen Peinlichkeiten: Mon Dieu, ist’s wahr, was ich mit eignen Augen sehe? / Der Herr versprach dem guten Kind die Ehe? Das sucht in Euren Memoiren man vergeblich. / Zum Glück. Für Euren Ruf wär das auch ziemlich schädlich. Das „wachgeküßte Kind“ singt Domenica Radlmaier nicht nur schön – eine Sternstunde der Aufführung, farbentupferhaft vom Orchester begleitet –, sondern ihr Spiel im gesamten Stück ist anrührend. Friederikes Schwester Salomea (Theresa Grabner, fürs Linzer Theaterpublikum keine Unbekannte) lacht sich Weyland (Oliver Baier) an – zu lachen hat sie nun nichts mehr! Clemens Kerschbaumer, erprobter Sänger in vielen Badener Aufführungen, hat die schwierige Aufgabe der Darstellung von Goethe zu bewältigen. Nach Meinung der Verfasserin hat der Regisseur intensiv daran gearbeitet, dass der Sängerdarsteller Kerschbaumer ein das Pathos übertreibender Goethe ist, schablonenhaft, mit dem Effekt der Entzauberung. Ein der Mächtigkeit entkleideter ist dieser Goethe, ohne lächerlich zu wirken. Sein Gesang ist auf diese Persönlichkeitsdeutung abgestellt.

Das Orchester unter der Leitung von Lorenz C. Aichner brachte die Vorzüglichkeit des Badener Orchesters wieder einmal voll zur Geltung – die leitmotivische Kompositionstechnik von Lehár, dieses Erklingen von Partikeln aus den Liedern da und dort und die ineinander Verwobenheit derselben konnten auch ersthörende Besucher des Singspiels gut nachvollziehen.

Das idyllische Bühnenbild des ersten Aktes konterkariert die ernsten, Frauenschicksale thematisierenden Töne am Schluss, im dritten Akt. Die Fäden einer Friederiken-Marionette werden durchschnitten, Friederike hat melodramatisch zu Boden zu sinken. Sie ist das Röslein auf der Heiden, das Goethe brach. Original im Libretto heißt ein von ihr vorgetragener Text: „Goethe gehört der ganzen Welt, so auch mir.“

Im Anschluss an die Vorstellung stellte sich dankenswerterweise Michael Lakner den Musiktheaterfreunden zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung. Die von Richard Architektonidis organisierte Reise fand ihren Ausklang in der Heimfahrt zufriedener Vereinsmitglieder, die ein fast nie mehr aufgeführtes Werk von Lehár kennengelernt haben.

Heide Stockinger
Fotos: C.Stadler_Bwag_wikimedia, PR

Fotos Baden