Norwegische Gegensätze: Spektakuläre Nationaloper und unscheinbares Holzhaus, Gedenkstätte einer großen Sängerin vom 20.-25.6.2013

Die schöne Tradition der Opern-Reisen der Freunde des Linzer Musiktheaters fand im Juni d.J. ihre Fortsetzung. Reiseleiter Rudolf Wallner führte die 24köpfige Reisegruppe durch Oslo und Umgebung, und als Opernkundiger fachte er die Begeisterung der Reiseteilnehmer an, für Bühnendramatik im Osloer Opernhaus und für die Begegnung mit einer „Jahrhundertstimme“ in einem Museum der Kleinstadt Hamar.

Nach pünktlicher Ankunft mit der Maschine der Austrian Airlines am Flughafen Gardermoen ging es mit dem Bus geradewegs zum Osloer Hotel, das, wir staunten!, dem Opernhaus genau gegenüber liegt. Wir sahen das strahlend weiße Gebäude vor uns und fanden bestätigt, was wir schon auf Bildern gesehen hatten: wie ein gleißender Eisberg, der gestrandet ist, ruht es in den Wassern des Oslofjords. Eine Baustelle zwischen Oper und Hotel war zu überwinden, wir gingen über eine überdachte Fußgängerbrücke, landeten auf der untersten waagrechten Fläche des Eisbergs, und wer stand wie zur Begrüßung da: die überlebensgroße Skulptur der Sängerin Kirsten Flagstad.

Wer ist Kirsten Flagstad? Viele Reiseteilnehmer kannten sie nicht.  So strahlend wir das Osloer Eisberg-Opernhaus sei ihre hochdramatische Sopranstimme gewesen. Ihre Weltkarriere begann, als sie 1935 an der MET mit „Sieglinde“ in der „Walküre“ debütierte. Sie sang an den größten Opernhäusern der Welt und oftmals in Bayreuth. Ihre Paraderollen waren die „Brünnhilde“ und die „Isolde“. Nach Beendigung ihrer Karriere war sie noch einige Jahre lang Direktorin der Norwegischen Oper. Sie starb in Oslo am 7. Dezember 1962.

Die Reiseteilnehmer bewegten sich in der Abendsonne auf den begehbaren schrägen Marmorflächen rund um das Opernhaus, die hoch hinauf führen, aufs Dach über dem Publikumssaal. Die Fernsicht über die Stadt, über die Hafenanlagen und die Inseln des Oslofjords ist überwältigend. Zum Greifen nah ist der Holmenkollen, diese wohl berühmteste Schisprungschanze, erbaut auf einem der grünen Hügeln, in die die Stadt eingebettet ist.

Die leicht erreichbaren Stadtteile mit ihren historischen Gebäuden und zeitgenössischen Hochhäusern – letztere sind faszinierendes Anschauungsmaterial für „Architektur heute“ – erkundeten wir zu Fuß. Die Altstadt mit altem Rathaus und Festungsanlage Akershus ist schnell durchschritten. Wir umrundeten auch den riesigen Klotz des neuen Rathauses aus roten gebrannten Ziegeln.  Die Karl Johans Gate entlang zu gehen dauert etwas länger, dafür liegen aber alle wichtigen Gebäude an der schnurgeraden Straße: die Domkirche mit ihren um die Kirche herumführenden Arkaden, das Theater mit Reliefs an der Vorderfront der Dichter Ibsen, Björnson und Holberg, das Parlament, die Universität und, am Ende der Straße, die königliche Residenz. Als wir den Rückzug antraten, begann es zu regnen. Wir zogen im Schutz der alten Bäume des Schlossparks Regenmäntel an und spannten die Schirme auf.

Rudolf Wallner hat uns schon vorgewarnt. Regenschauer kommen in Oslo überraschend, auch wenn es gerade noch sonnig war. Wir hatten die 6 Tage unseres Aufenthalts abwechselnd Sonne und kleine Schauer. Bei angenehmen Temperaturen. Wolkenformationen zogen schnell über den Osloer Himmel, und das Licht des langen nordischen Tages war heller und klarer als in unseren Breiten.

Schon am zweiten Tag unseres Aufenthaltes konnten wir die 2008 eröffnete neue norwegische Nationaloper (Den Norske Opera & Ballett) auch von innen kennenlernen. Mit einem Ballett begann der Musiktheater-Teil unserer Reise.

Aber bevor wir uns für den Abend „schön“ machten, besuchten wir noch auf der Osloer Museumsinsel das Frammuseum, Kon-Tiki-Museum und Wikingerschiffmuseum. Was wäre ein Aufenthalt in Norwegen, ohne der Seenation die Referenz zu erweisen. Vor allem im Frammuseum war die Zeit zu kurz. Es dauert, bis man die Kajüten des Eisbrechers „Fram“ des Polarforschers Fridtjof Nansen erkundet hat.

Die Foyer-Räume im Inneren des Opernhauses sind riesig, sie reichen zum Teil bis in die Dachregion, aus Glas sind die Außenfronten, die Innenwände aus Holz, aus senkrecht verlegten helleren und dunkleren Holzstäbchen, die durch ihre nicht exakte Aneinanderreihung einen ästhetischen Effekt erzielen. Im Bühnenraum wiederholt sich die Holzstäbchenverkleidung, allerdings, so fanden wir, war da zu viel Holz, und die Raumaufteilung des Publikumsbereichs erzeugt ein unruhiges Bild, weil die Ränge über dem Parterre versetzt angeordnet sind.

Wir saßen gut auf altrosa Samt-Bestuhlung. Auf dem Programm stand „Dornröschen“, norwegisch: „Tornerose“, von Peter Iljitsch Tschaikowsky, in der langen Originalfassung und nachempfundenen Originalchoreografie des 19. Jahrhunderts, mit gemalten Märchenkulissen wie aus Bilderbüchern der Altvorderen. Die drei Stunden Aufführungszeit wurde noch verlängert durch die vom Publikum warmherzig mitgetragene Verabschiedung einer Tänzerin, die ihre Bühnenlaufbahn beendete. Sie hatte die böse Fee im Stück getanzt.

Fast alle Reiseteilnehmer waren sich nach der Vorstellung darüber einig, dass das klassische Ballett zwar von theatergeschichtlichem Interesse aber langweilig gewesen sei, verstaubt gewirkt habe, obwohl die solistischen Einzelleistungen herausragend waren. Die Orchesterleistung war solide, so die Meinung der Reiseteilnehmer, aber bei Tschaikowskys Ballettmusik zu „Dornröschen“ könne ein gutes Orchester auch nicht viel falsch machen.

Der dritte Tag war Ausflugstag. In Eidsvoll konnten wir den Gutshof von Carsten Anker allerdings nicht besuchen: „wegen Renovierung geschlossen“. Den geschichtsträchtigen Ort – hier wurde 1814 die Loslösung Norwegens von Dänemark proklamiert – verließen wir unverrichteter Dinge und näherten uns einem Hauptziel unserer Reise, von Rudolf Wallner entsprechend angepriesen, ohne noch gewusst zu haben, dass es ein Highlight sein würde. In der Kleinstadt Hamar, in der Kirsten Flagstad geboren wurde, fand der Buschauffeur erst nach einigen Umwegen das kleine Holzhaus, das sich Flagstad-Museum nennt. Wir waren überrascht. Die Jahrhundertsängerin und dann das! Wir vergaßen schnell den ersten Eindruck, denn es empfing uns Ragnhild! Eine junge bezaubernde Museumshüterin in einem geblümten Kleid, mit mütterlich gerundeten Körperformen, hellem Haar und lebhaften Augen, die sogleich bedauerte, dass unsere Zeit knapp bemessen war. Wir nahmen im Vortragsraum Platz, der einer Puppenstube gleicht, und verfolgten eine Powerpoint-Präsentation mit alten Tondokumenten, geschickt in Gang gesetzt von Ragnhild, die, obgleich wie dem Märchen entsprungen, die digitalen Techniken wie selbstverständlich beherrscht. Danach besuchten wir im Erdgeschoß und ersten Stock die Museumsräume, klein und heimelig, wie das ganze Häuschen. Viele Fotos, Bühnen-Kostüme und Gegenstände des täglichen Gebrauchs gab es zu bewundern.

Unsere Reisegruppe weiß nun, wer die Sängerin Kirsten Flagstad war, gefeiert in der westlichen Musikwelt, heute fast vergessen. Die alten Tondokumente bewiesen: sie war eine Gesangsheroine, eine Ausnahmeerscheinung. 1958, mit 63 Jahren, sang sie zum letzten Mal eine Wagnerpartie, die „Fricka“ in „Rheingold“. Sie war nach ihrem Debüt an der MET fast ausschließlich Wagner-Interpretin, dabei hätte sie, so Rudolf Wallner, gern auch andere Rollen übernommen – eine der Ausnahmen war der „Fidelio“, diese Partie gehörte lange zu ihrem Repertoire.

Den ereignisreichen Tag beschloss ein Rundgang durch das Freilichtmuseum Maihaugen und die Fahrt zu den Zwillingskirchen in Gran, die von verfeindeten Brüdern erbaut worden waren. In die Kirchen konnten wir nicht hinein, aber im Friedhof bei den Kirchen konnten wir anhand der schlichten Gräber über kulturelle Unterschiede zu unserem Land nachdenken.

Mit großen Erwartungen brach der vierte Reisetag an. „Salome“ von Richard Strauss war für 15 Uhr im Opernhaus angesetzt. Am Vormittag stand noch der Besuch des Holmenkollen und eine Wanderung durch den Vigeland-Skulpturenpark am Programm. Überdimensionale Bronze- und vor allem Steinplastiken, Männer, Frauen und Kinder darstellend, von Gustav Vigeland aus dem späten 19. Jahrhundert, bevölkern in großer Zahl einen großen Park – mit Worten ist der kuriosen Ansammlung kaum beizukommen!

„Salome“ hatte dieses Frühjahr in Oslo Premiere. Im Jahr 2011 war die Oper in derselben Inszenierung schon bei den Salzburger Osterfestspielen zu sehen. Viele Reiseteilnehmer waren nach der Aufführung in der norwegischen Nationaloper sehr beeindruckt, die Inszenierung des norwegischen Starregisseurs Stefan Herheim und das Bühnenbild mit Riesenmond fand Akzeptanz. Rudolf Wallner lobte das farbige Spiel des Orchesters unter dem von ihm sehr geschätzten Dirigat von John Helmer Fiore. Dem Bühnenbild und der Inszenierung steht er mit gemischten Gefühlen gegenüber, Herheim falle zu viel ein, und nicht jeder Einfall korrespondiere mit dem Inhalt der Oper. Und die grandiose Gestaltung und die kraftvolle Stimme der Salome rühmte er zwar, schlug aber in dieselbe Kerbe wie ein norwegischer Zeitungs-Rezensent, der urteilt: die Stimme der Sängerin Elizabeth Blancke-Biggs „should be more seductive and tender“. Viele Reiseteilnehmer konnten solche Einschränkungen des Gesamteindrucks nicht wahrnehmen. Zu der Präsenz des begehbaren Teleskops auf der Bühne gab es viele Meinungen, die alle was für sich haben: ein Spot auf die verderbte Gesellschaft gerichtet, ein das Universum einfangendes Instrument, eine Waffe, ein Phallussymbol. Da aber die Verfasserin dieses Berichts keine Expertin auf dem Gebiet der Oper ist, zog sie auch das Internet zurate. In einem Interview sprach Herheim von Wunschbildern, die das Geschehen in der Oper „Salome“ beherrschten. Naturalistische Psychologie interessiere ihn nicht. „Salome“ sei Projektionsfigur für männliche Wünsche und Nöte. Und der universellen, mythischen Dimension des Werks versuche er durch Buntheit und schillernde Farbe auf der Bühne gerecht zu werden. …

Der vorletzte Tag, der 24.6., bescherte uns noch eine Fahrt auf dem Oslofjord mit einem Segelschiff, einem Zweimaster, dessen Segel schon lange nicht mehr gebläht waren. Trotzdem war das Schiffsambiente romantisch. Die Inseln zogen an uns vorbei mit den typischen bunten Holzhäuschen an ihren Ufern, abwechselnd von Sonne beschienen und von Regenschleiern eingetrübt. Am freien Nachmittag besuchten einige Reiseteilnehmer das Edvard Munch-Museum und lauschten einer gut englisch sprechenden Führerin, die auch von Munchs Aufenthalten „in Europa“ sprach. Norwegen fühlt sich also Europa nicht zugehörig! Als wir am 25.6. mit dem Bus zum Flughafen Gardermoen fuhren, blickten wir hinaus auf Landschaften, die sich kaum von österreichischen unterschieden. Und norwegische Kost? Solche Restaurants wie in Oslo, mit viel Fisch auf der Speisekarte, in denen man vorzüglich isst, sind in Österreich allerdings nicht so häufig anzutreffen, und schon gar nicht mit durchwegs blonden und ausnehmend freundlichen Kellnerinnen.

Heide Stockinger