Am 15. November 2023 traten 39 Mitglieder des Vereins Freunde des Linzer Musiktheaters eine wunderschöne fünftägige Musiktheaterreise ins kultur- und geschichtsträchtige Thüringen an. Am Abend in Weimar angekommen, hatte jeder von uns Gelegenheit, sich einen ersten Eindruck von dieser schönen Stadt zu verschaffen. Tags darauf gab es einen interessanten zweistündigen geführten Stadtrundgang durch diese aus vielen Gründen allseits bekannte Stadt.
Weimar ist nach Erfurt, Jena und Gera nur die viertgrößte Stadt Thüringens, muss aber als „Stadt der Dichter, Denker, Komponisten und Maler“ jährlich an die 3 Millionen Touristen bedienen. Wir staunten über die mittelalterlichen Burgen und romantischen Schlösser, bewunderten die zahlreichen Sehenswürdigkeiten und erfuhren viel über die Geschichte dieser schönen Stadt, die allerdings auch unter den Folgen des dreißigjährigen Krieges bis hin zu den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges zu leiden hatte. Eine besonders wichtige Rolle spielte Weimar als Ort der Weimarer Klassik während der Regentschaft der kunstsinnigen Herzogin Anna Amalia sowie unter ihrem Sohn Herzog Carl August. Die Zeit von Goethe, Schiller, Wieland und Herder gilt als das goldene Zeitalter, das mit Goethes Tod endete. Nach einer Zeit geistiger und kultureller Erstarrung begann unter Großherzogin Maria Pawlowna und ihrem Sohn Carl Alexander sowie dessen Frau Großherzogin Sophie ein neuer kultureller Aufschwung, der als das silberne Zeitalter bezeichnet wird. 1842 wurde Franz Liszt zum Kapellmeister berufen. Das alte Hoftheater Weimar genügte bald den Anforderungen nicht mehr, und so wurde 1908 das neue Deutsche Nationaltheater Weimar errichtet, das alleine schon durch die davor befindlichen mächtigen Skulpturen von Goethe und Schiller leicht zu finden ist. Wir kamen auch an Goethes Wohnhaus mit dem Nationalmuseum, Schillers Wohnhaus, der Bauhaus Universität, der Hochschule für Musik Franz Liszt und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek vorbei. Selbstverständlich besuchten wir die Stadtkirche Sankt Peter und Paul, in der Johann Gottfried Herder 27 Jahre lang als Generalsuperintendent wirkte. Das bedeutendste Kunstwerk dieser Kirche ist der Cranach-Altar. Dieses Altarbild, gleichsam eine gemalte Predigt wurde von Lucas Cranach dem Jüngeren vollendet.

Am Abend widmeten wir uns der italienischen Musik, machten aber vorher noch einen kurzen Blick in das gegenüber dem Theater liegende Haus der Weimarer Republik und erinnerten uns der auch staatsrechtlich besonderen Bedeutung des Theaters. 1919 trat hier die deutsche Nationalversammlung zusammen und beschloss die erste demokratische Verfassung Deutschlands, die als „Weimarer Republik“ in die Geschichte einging.

Wir aber besuchten im Theater eine berührende Aufführung von Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“. Das Stück, oft auch salopp als „Romeo und Julia“ bezeichnet, unterscheidet sich von Shakespeare in einigen Punkten. Bei Bellini geht es nicht um das Scharmützel zweier verfeindeter Familien, sondern es stehen sich zwei rivalisierende Parteien in einem Bürgerkrieg gegenüber. Unsere Bewunderung galt auch dem Chor, der es verstand, das Leid der verwundeten, teilweise auf Krücken gehenden Bevölkerung zu zeigen. Den Musikern gelang es, die lyrischen Melodiebögen Bellinis zum Ausdruck zu bringen, doch fehlte es angesichts der hervorragenden darstellerischen Leistungen nicht an der Dramatik des Stückes, das eine brutale kriegerische Auseinandersetzung und die Unmöglichkeit einer Liebe in Zeiten des Krieges zeigt.

Am nächsten Tag unternahmen wir eine Fahrt nach Erfurt. Sie ist mit knapp 215.000 Einwohnern die größte Stadt Thüringens und auch die Landeshauptstadt. Erfurt war schon im Mittelalter als Handelsstadt reich und berühmt geworden, vor allem wegen des Waidhandels. Das besondere „Erfurter Blau“ erfreut sich heute noch einer besonderen Nachfrage. Als Ökofarbe eignet es sich auch zum Streichen von Holz. Die Verarbeitung der Blätter zum blauen Farbstoff nimmt Stunden in Anspruch. Ob sich davon die Ausdrücke „blaumachen“ und „Blauer Montag“ herleiten? – vielleicht!

In städtebaulicher Hinsicht beeindruckten die wunderschöne Altstadt, die an die 20 Pfarrkirchen sowie die Fachwerks-, Bürger und Handelshäuser. Das Haus zum Roten Ochsen gilt sogar als eines der schönsten Renaissance-Gebäude ganz Deutschlands. Interessant auch die Krämerbrücke, die den Fluss Gera überspannt und mit ca. 30 Häusern bebaut ist. Sie ist damit die längste komplett bebaute Brücke Europas. Wahrzeichen der Stadt ist das einzigartige Ensemble aus Dom und der daneben befindlichen Severikirche, die sich auf dem Domberg befinden und durch Besteigen von 70 Stufen zu erreichen sind. Sie sind auch Schauplatz des jährlich stattfindenden „Domstufenfestivals“. Mit der „Gloriosa“ besitzt der Dom die größte freischwebende Glocke der Welt. Sie erklingt heute noch zu besonderen Anlässen. Erfurt ist auch eine bedeutende Kulturstadt. Die Universität zählt zu den drei ältesten Deutschlands. Ihr bekanntester Student war Martin Luther. Das Erfurter Theater wurde 2003 eröffnet und bietet Platz für ca. 800 Zuschauer. Wir besuchten die Oper „Peter Grimes“ von Benjamin Britten, die sich schon dadurch von den herkömmlichen Opern unterscheidet, dass ihr zu Beginn statt einer Ouvertüre ein Prolog vorangestellt ist. Im Gerichtssaal eines kleinen englischen Dorfes wird der Fischer Peter Grimes verhört. Er wird verdächtigt, seinen Lehrling bei der Fischerarbeit in einem Boot auf dem Meer getötet zu haben. Mangels an Beweisen wird er freigesprochen, doch glaubt kaum jemand der Dorfgemeinschaft an seine Unschuld. Wie es ihm dabei ergangen ist, erfuhren wir im Laufe der drei Akte. Sowohl das Meer als auch das Dorf stellen einerseits kritische, wenn auch lebensnotwenige, aber auch tödliche Kräfte dar. Die Dorfbewohner, die mit dem Bürgermeister, dem Besitzer der Dorfschenke, dem Pfarrer und einem Sektenanhängiger einen markanten Querschnitt des Dorflebens zeigen, werden im Verlaufe des Stückes mehr und mehr zu einer zu Gewalttätigkeit neigenden, aggressiven Masse. Ihr steht Peter Grimes als Außenseiter, als „anderer“ gegenüber. Die Erfurter Aufführung zeichnet sich neben der erstklassigen musikalischen Umsetzung durch ein zeitloses Bühnenbild aus. Durch die universelle Geltung des Stückes kommt kaum ein Zuschauer umhin, sich in einer der Szenen wiederzuerkennen. Eindrucksvoll und stets mitfühlend auch das Dirigat. Dem Orchester ist es gelungen, die tonmalerischen Effekte in Brittens Musik, das ständige auf und ab ähnlich den Wellen des Meeres auch klanglich zu zeigen.

Am letzten Tag vor der Heimreise besuchten wir Eisenach und die Wartburg und wurden dabei vor allem mit drei Namen konfrontiert: Elisabeth von Thüringen, Martin Luther und Johann Sebastian Bach. Die fromme Fürstin Elisabeth, geboren wahrscheinlich im 13. Jahrhundert in Pressburg, war die Tochter des ungarischen Königs Andreas II. Sie kam bereits im Alter von 11 Jahren nach Thüringen und wurde hier mit Landgraf Ludwig IV. verlobt. Wegen ihres sozialen Engagements, ihres ausgeprägten Gerechtigkeitssinnes und ihrer Frömmigkeit wurde sie heiliggesprochen.

Der in Eisleben eigentlich als Martin Luder geborene Luther wurde 1521 auf dem Reichstag zu Worms mit der Reichsacht belegt und galt damit als vogelfrei. 1521/22 gelang es ihm aber, auf der Wartburg als Junker Jörg Unterkunft zu finden, wo er produktiv tätig war. In dem allgemein einsichtigen Luther-Zimmer übersetzte er die Bibel vom Griechischen in eine allgemein verständliche deutsche Sprache.

Die Wartburg wurde 1067 von Ludwig dem Springer erbaut und in der Folgezeit wiederholt renoviert und erweitert. Sie gehört heute zum UNESCO Welterbe. Sie ist untrennbar mit den Namen Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide und der Geschichte vom Sängerstreit verbunden, welcher auch in Richard Wagners Tannhäuser eine wesentliche Rolle spielt. Auch Goethe hielt sich wiederholt hier auf. Die Wartburg besitzt einen großen Konzertsaal, in dem laufend Konzerte und kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Bei dessen Gestaltung hat auch Franz Liszt seinen Beitrag geleistet.

1817 fand auf der Wartburg das erste Wartburgfest statt. Etwa 500 mehrheitlich protestantisch-studentische Teilnehmer folgten dem Ruf der Jenaer Burschenschaft und forderten ein geeintes Vaterland, Gleichheit und bürgerliche Freiheiten. Wenngleich allenfalls mitschwingende Deutschtümelei und Judenhass mit Entschiedenheit abzulehnen sind, zählt das Wartburgfest zu den bedeutendsten Momenten deutscher Demokratiegeschichte.

Mit Eisenach ist auch der Name Johann Sebastian Bach untrennbar verbunden. Er kam hier 1685 zur Welt und gilt als DER deutsche Komponist sowie Orgel- und Klaviervirtuose des Barock. Er stammt aus einer thüringischen Musikerfamilie und verbrachte die ersten zehn Lebensjahre hier. Im Alter von 9 Jahren starben seine Eltern, und er wurde daraufhin von einem seiner älteren Brüder in Ohrdruf aufgenommen. Nach einem einstündigen Stadtrundgang ging es wieder zurück nach Weimar, wo wir tags darauf wieder die Heimreise nach Linz antraten. Mein Dank gilt den Freunden des Linzer Musiktheaters für diese schöne Reise, ganz besonders aber Frau Christiane Reuss für die vielen interessanten, hilfreichen einführenden Erklärungen während der Fahrt.

Irene Jodl
Fotos: PR

Fotos Weimar